No-name und nachhaltig - eine Analyse nachhaltiger Food-Handelsmarken im Lebensmitteleinzelhandel
Veggie-Varianten und Milch-Alternativen: Bio ist einer der größten Wachstumsträger im Lebensmittelhandel. Supermärkte und Discounter bieten inzwischen nachhaltige Lebensmittel eigener Marken an. Sie kommen mit diesem Angebot der wachsenden Nachfrage der Kundschaft nach nachhaltigen Produkten entgegen. Die Studentin Hanna Kiesel hat in ihrer Masterarbeit „No-name und nachhaltig“ Food-Handelsmarken im Lebensmitteleinzelhandel analysiert. Die Ergebnisse der jungen Wissenschaftlerin der Fakultät Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg- Schweinfurt stehen kostenlos zum Download zur Verfügung.
Bio-Sortimente sind einer der wenigen Bereiche, die im Lebensmittelhandel wachsen – zwischen 2012 und 2017 jährlich um 5,9 Prozent nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung. 2019 gab die Kundschaft laut Handelsblatt mehr als zehn Milliarden Euro jährlich für Bio-Produkte aus, ihr Anteil hat sich laut GfK-Studie seit 2004 mehr als verdreifacht. Zwei Drittel des Marktes für ökologisch erzeugte Lebensmittel haben mittlerweile große Lebensmittelketten unter sich aufgeteilt. Bis 2025 will beispielsweise der Discounter Lidl zehn Prozent Bio- oder Bioland-Lebensmittel im Festsortiment führen. Das Unternehmen fördert Bioland-Landwirtinnen und -Landwirte, um ihre Produkte auf einem größeren Absatzmarkt vermarkten zu können. Auch die drei weiteren Anbieter Aldi, Edeka und Rewe, die die Hochschul-Absolventin untersucht hat, kooperieren mit großen Anbauverbänden wie Demeter, WWF und Naturland. So ist z.B. Rewe Mitglied bei Demeter geworden.
In der Masterarbeit, so Hanna Kiesel, werde der Frage nachgegangen, inwieweit Nachhaltigkeit bei Food- Handelsmarken mit Bio-Label im Lebensmitteleinzelhandel ganzheitlich realisiert und für die Kundschaft nachvollziehbar und transparent gestaltet wird. Ein geändertes Konsumierenden- Verhalten, Ressourcenverknappung sowie politische Vorgaben haben zu dieser Anpassung geführt. Ihre Analyse habe ergeben, dass keine der vier untersuchten Handelsmarken
• GutBio / Aldi
• Bio Organic / Lidl
• Edeka Bio
• Rewe Bio
eine durchgängig gleich hohe Nachhaltigkeitsperformance aufweise. Jedoch sei festzustellen, dass die Supermärkte und Discounter bemüht seien, ihre Angebote stetig zu optimieren, um ihren Beitrag zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Standards, welche Leistungen eine nachhaltige Marke jeweils zu erfüllen habe, gebe es aktuell nicht. Die Kundschaft hat über Apps die Möglichkeit, „clever zu konsumieren“, indem sie Hintergrundinformationen über Siegel und Zertifikate zu einzelnen Produkten aufruft. Diese Lücke fehlender Normen mit der
wissenschaftlichen Arbeit zu schließen, so Kiesel, erlaube Konsumierenden eine informierte Kaufentscheidung auf Basis vergleichbarer Kriterien.
Bio-Produkte im Lebensmitteleinzelhandel
Nach Angaben des Handelsmarkenmonitors 2020 wählen 96 Prozent der deutschen Verbraucher beim Einkauf Handelsmarken- Marken, bei denen Eigentum und Verantwortung beim Händler liegen. Sie bieten, so die Wissenschaftlerin, ein gutes Preis- Leistungs-Verhältnis, ein vielfältiges Angebot und eine gute Qualität als Alternative zu Herstellermarken. Händler nutzen den Begriff „Bio“ zur Kennzeichnung ihrer nachhaltigen Handelsmarken, da dieser weit verbreitet sei und bei Verbrauchern Assoziationen zu Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein wecke. Der Handel orientiere sich bei Produktmerkmalen wie Logo oder Verpackung an Artikeln von Markenherstellenden.
Begriff Nachhaltigkeit: Es gibt keine allgemeingütige Definition des Begriffes. Zurückführen lässt sich der Begriff auf Hans Carl von Carlowitz, der ihn erstmals im Jahr 1713 in Zusammenhang mit der Forstwirtschaft erwähnte: Nachdem eine Abholzung der Wälder einen Holzmangel nach sich zog, suchte der sächsische Oberstleutnant nach einer neuen Art der Waldbewirtschaftung. Seiner Methode zufolge sollte eine natürliche Regeneration des genutzten Waldes erfolgen, um die Eigenschaften des Systems zu erhalten und das Fortbestehen der wichtigen Ressource Holz sicherzustellen. Dieser Ansatz gilt als Grundstein des Nachhaltigkeitsgedankens. 1987 steht das Prinzip der Nachhaltigkeit für den Schutz des Wohlergehens von heutigen wie künftigen Generationen sowie für die Berücksichtigung der drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales.
Eine zunehmende Anzahl deutscher Unternehmen, so Kiesel, werde sich ihrer Verantwortung in Bezug auf die Agenda 30 bewusst und richte ihre Strategien an Zielen der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) aus. Sie dokumentierten dies auf ihren Webseiten.
Verpackung und Transparenz – Re-use und Recycling
Auch das Thema Verpackung spiele eine entscheidende Rolle: Deren Einsatz sollte so weit wie möglich reduziert beziehungsweise im besten Fall gänzlich vermieden werden, sofern nicht Re-use-Konzepte, das Recycling oder die Möglichkeit, es biologisch abbauen zu können, greifen. Produkte mit Mehrweg- statt Einweg-Verpackungen; Pappe, Stoff und Glas statt Plastik und Kunststoffe werden von der Kundschaft zunehmend bei der Kaufentscheidung favorisiert. Um Transparenz zu schaffen, befinden sich idealerweise alle relevanten Angaben zum Produkt und dessen Herkunft auf der Verpackung. Diese Transparenz schaffenden Informationen können als Laser-Etikett direkt auf dem Produkt vermerkt oder als Webadresse oder QR-Code bereitgestellt werden. Die Maßnahmen schafften Vertrauen und die Sicherheit, dass es sich um ein wirklich nachhaltiges Produkt handele.
Individualisierung der Verbraucherbedürfnisse
Die Verbraucherbedürfnisse haben sich nach Kiesel individualisiert: Sei früher die Kaufentscheidung über den Preis erfolgt, werde nun verstärkt Wert auf eine Markenpolitik gelegt. Handelsmarken werden mit einer dreistufigen Eigenmarken- Architektur geschaffen und kreiert:
1. Gattungsmarken
2. klassische Handelsmarken
3. Premium-Handelsmarken
Die Kundschaft zeige ein hybrides Kaufverhalten: Sie kaufe nicht ausschließlich bei einer Kette oder einem Betriebstyp ein, sondern besuche unterschiedliche Einkaufsstätten.
Soziale Verantwortung
Der Begriff „fairer Handel“ ist nicht einheitlich definiert. Von der Weltorganisation für fairen Handel (World Fair Trade Organization) wurden Grundsätze aufgestellt. Darunter fallen u. a.
• partnerschaftliche Handelspraktiken
• die Zahlung fairer Preise
• die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmenden
• kein Dulden von Diskriminierung
• die Sicherstellung guter bzw. tragfähiger Arbeitsbedingungen
Ziel ist es, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen entlang der Lieferkette zu optimieren und ihre politische wie wirtschaftliche Position zu stärken.
Nachhaltigkeit - Auswertungen in vier Kategorien
Hanna Kiesel hat anhand von vier Kategorien exemplarisch Produkte der vier Marken analysiert:
• Anspruch
• Verpackung
• Transparenz
• Fairness
ALDI hat 335 von 560 möglichen Punkten erreicht. Der Nachhaltigkeitsanspruch erfülle die gesetzlichen Mindestvorgaben. Während die untersuchten Produkte bei den Kriterien Anspruch und Fairness bis auf zwei Ausnahmen gleich abschneiden, zeigten sich bei der Verpackung und der Transparenz Unterschiede: Der Discounter setze überwiegend auf Einwegverpackungen aus Plastik, bemühe sich, den Plastikeinsatz zu reduzieren und stattdessen alternativ auf Kunststoff und Karton zu setzen. Positiv hervorzuheben sei die Angabe eines QR-Codes auf der Verpackung des Wurstaufschnitts, der Zugang zu umfassenden Informationen zum Produkt ermögliche.
LIDL kommt auf 370 von 560 möglichen Punkten. Es ließen sich sowohl zwischen den untersuchten Produkten, als auch den Untersuchungskriterien deutliche Unterschiede feststellen. Positiv hervorzuheben sei die Zusammenarbeit des Discounters mit Bioland: Dieser Anbauverband fordere die Einhaltung strenger Kriterien, wodurch die zertifizierten Bio Organic-Artikel bei den Kriterien Anspruch und Fairness besonders gut abschneiden. Der Discounter nutzt bei zwei Produkten QR-Codes, durch die Verbraucher weitere Informationen abrufen können. Bei der Verpackung von Bio Organic-Produkten setzt der Discounter überwiegend auf Einwegverpackungen aus Plastik, eine Ausnahme bilde der Milchkarton, der ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen bestehe.
EDEKA BIO erreicht 353 von 560 möglichen Punkten. Bis auf wenige Ausnahmen erfüllen alle untersuchten Produkte höhere Kriterien als die gesetzlichen Mindeststandards. Hervorzuheben sei die Zusammenarbeit mit der Naturschutzorganisation WWF: Sie habe zum Ziel, den ökologischen Fußabdruck von Edeka zu verringern. Der WWF helfe dem Unternehmen, die Nachhaltigkeit seiner Eigenmarke in verschiedenen Bereichen zu optimieren. Die Siegel auf den Verpackungen werden auf den Webseiten erklärt. Nicht nachvollziehbar sei, wer für die Produktion der Produkte verantwortlich sei, da Edeka hierzu keinerlei Angaben mache. Bezüglich der Transparenz schneide Edeka Bio damit nicht zufriedenstellend ab.
Rewe Bio hat 388 von 560 möglichen Punkten erzielt. Die untersuchten Produkte der Handelsmarke seien mit zusätzlichen Siegeln ausgezeichnet und erfüllen Anforderungen, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen. Besonders hervorzuheben seien Artikel, die Naturland-zertifiziert seien, da der Verband sehr strenge Richtlinien verfolge, die sowohl ökologische, ökonomische, als auch soziale Aspekte berücksichtigen. Bei den Verpackungen setze das Unternehmen überwiegend auf Einwegplastik, es gebe Bestrebungen, Kunststoff zu reduzieren. Neben der Angabe des Produzenten schaffe das Unternehmen die Möglichkeit, sich zu informieren, beispielsweise durch die Angabe von Links oder Hinweisen auf der Verpackung.
Die Absolventin hat sich für das Thema ihrer Masterarbeit entschieden, da sie sich persönlich sehr für Nachhaltigkeit und Umweltschutz interessiert und gerade im Nahrungsmittelbereich eine stetige Weiterentwicklung in diesem Bereich zu beobachten ist.
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